Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1.Politische Einstellungen kurdischer Bürgerinnen und Bürger in der BRD im Kontext der Afrin-Krise
Dastan Jasim
2.Die Darstellung der KurdInnen in den deutschen Medien
Dr. Nikolaus Brauns
3.Opfer – Täter – Helden? KurdInnen in der deutschen Diaspora: Eine Themenfrequenz- und Diskursanalyse deutscher Tageszeitungen
Arne Nowacki
4.Medien in Südkurdistan – ein Interview mit Kamal Chomani
Kerem Schamberger
5.Ein Kampf, zwei Narrative? Rudaws Framingstrategien während des Konflikts über die umstrittenen Gebiete der Region Kurdistan und des Irak im Jahre 2017
Hawre Hasan Hama, Farhad Hassan Abdulla, Dastan Jasim
6.Medien der kurdischen Freiheitsbewegung in Europa: Mittel zum Widerstand und zur Mobilisierung
Dr. Luqman Turgut
Vorwort
„Mediale Realitäten eines marginalisierten Volkes: KurdInnen und Öffentlichkeit“ heißt diese Sammlung von sechs Open Access-Beiträgen und hat den Anspruch, das in den Mittelpunkt zu stellen, was meist vernachlässigt wird: die KurdInnen als Subjekt in der Öffentlichkeit. Viel zu oft wird in der Politik, der Wissenschaft und der Öffentlichkeit nur über KurdInnen als Objekt geredet. Zu selten mit ihnen. Gemeinsam. Über ihre Themen. Dies muss sich ändern und diese Veröffentlichung soll einen kleinen Beitrag dazu leisten.
Zu Beginn stand ein gleichnamiger Workshop am 20. Oktober 2018, zu dem der Lehrbereich Meyen am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IfKW) ge-meinsam mit dem Netzwerk Kurdischer AkademikerInnen an die Ludwig-Maximilians-Universität München geladen hatte. Knapp 20 WissenschaftlerInnen, AktivistInnen und andere Interessierte folgten der Einladung, darunter KurdInnen, TürkInnen und Deutsche. Ein buntes Spektrum, das im akademischen Bereich sonst eher marginal und nicht besonders sichtbar ist. Einen Tag lang wurde über verschiedene Formen der Öffentlichkeit in Zusammenhang mit KurdInnen diskutiert. Zwar brachte die Einladung an das IfKW einen kommunikationswissenschaftlichen Schwerpunkt mit sich, doch es ging darüber hinaus. Anwesend waren EthnologInnen, Historiker, Politik-, Erziehungs- und eben KommunikationswissenschaftlerInnen aus ganz Deutschland. Darüber hinaus nahmen AktivistInnen und sogar eine Künstlerin teil. Eine Zusammensetzung, die bei akademischen Zusammenkünften nicht gerade häufig anzutreffen ist. Doch gerade in Zeiten der zunehmenden Kriminalisierung kurdischer Aktivitäten in Deutschland, als Beispiel sei nur die Verfolgung der Symbole der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ vor allem in Bayern genannt, ist die akademische Diskussion kurdischer Themen von großer Wichtigkeit. Der beständige Bannstrahl des Terrorvorwurfes wird auch dadurch ge-schwächt, dass universitäre Einrichtungen sich der Diskussion annehmen und das wachsende Netzwerk kurdischer AkademikerInnen unterstützen – nicht in Form eines sicherheitspolitischen Diskurses im vermeintlichen „Kampf gegen den Terror“, sondern aus einer solidarischen, Grenzen überschreitenden Perspektive. Einer Perspektive, die KurdInnen nicht als anonymisierte Akteure eines Konflikts sieht, sondern deren Subjektivität im Rahmen der Gestaltung von Diskursen und Realitäten anerkennt und würdigt. Diese Veröffentlichung ist zugleich ein Beitrag dazu, aufstrebenden (kurdischen) NachwuchswissenschaftlerInnen eine Plattform zu bieten und ihren Themen Öffentlichkeit zu verschaffen. Im Anschluss an den Workshop entstand so die Idee, eine Onlinepublikation mit den Beiträgen der Workshop-TeilnehmerInnen zu erstellen. Das Ergebnis liegt nun vor euch.
Im ersten Beitrag beschäftigt sich die Politikwissenschaftlerin Dastan Jasim in einer quan-titativen Befragung mit den politischen Einstellungen von KurdInnen in Deutschland im Zuge des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges der Türkei auf den Kanton Afrin in Nordsyrien im Frühjahr 2018. Sie kommt zu dem leider wenig überraschenden Schluss, dass sich KurdInnen von der deutschen Bundesregierung aufgrund der Unterstützung der türkischen Regierung vernachlässigt fühlen und ihr transnationaler politischer Aktivismus gegen verschiedene Kontrollvariablen getestet stabil bleibt. Anschließend zeichnet der Historiker und Journalist Dr. Nikolaus Brauns ein Bild der medialen Repräsentation von KurdInnen im Verlauf der Geschichte. Er macht dabei, beginnend bei der Arbeitsmigration in die junge Bundesrepublik bis zum Wiederaufflammen des Krieges des türkischen Staates gegen die KurdInnen in den Jahren 2015/2016, insgesamt fünf Phasen der Berichterstattung aus. Von der medialen Nicht-Existenz bis hin zu KurdInnen als „TerroristInnen“. Für ihn existiert ein diskriminierendes und verzerrtes Kurdenbild in der deut-schen Öffentlichkeit, das mit der fehlenden Statuslosigkeit dieser Bevölkerungsgruppe zu tun hat. Arne Nowacki, der Kommunikationswissenschaft studierte, veröffentlicht im dritten Beitrag zum ersten Mal die Ergebnisse seiner Masterarbeit. Passend zum vorhergehenden Beitrag untersucht er quantitativ die Darstellungen von KurdInnen in deutschen Medien in den Jahren 1995, 2005 und 2015. Sein Ergebnis ist kongruent zur Schilderung von Brauns: Es wird wenig und wenn, dann negativ über KurdInnen berichtet. Die Beiträge vier und fünf verlassen Deutschland und werfen einen Blick auf die Region Kurdistan im Nordirak, auch bekannt als Südkurdistan, das von vielen Seiten, auch von Deutschland, anerkannt und nicht zuletzt im Kampf gegen den IS militärisch unterstützt wurde. Zuerst schildert Kamal Chomani im Gespräch mit Kerem Scham-berger seine Eindrücke des südkurdischen Mediensystems und beschreibt die parteipolitische Abhängigkeit der Medien sowie Momente der Einschüchterung und Verfolgung von südkurdi-schen JournalistInnen. Hawre Hasan Hama, Farhad Hassan Abdulla und Dastan Jasim beschäftigen sich daran anschließend mit dem Fernsehsender Rudaw, der politisch und finanziell von der Demokratischen Partei Kurdistan (KDP) abhängig ist. Sie analysieren die tendenziöse Berichterstattung der Ereignisse um den 16. Oktober 2017, als irakische Sicherheitskräfte die ölreiche Stadt Kirkuk von den KurdInnen zurückeroberten. Rudaw konzentrierte sich dabei vor allem auf eine emotionalisierende Berichterstattung über die Fehler der rivalisierenden Patriotischen Union Kurdistan (PUK) und der von ihr kontrollierten Gebiete und vernachlässigte weitestgehend die Fehler der KDP. Im abschließenden Beitrag geht der Journalist und Kurdologe Luqman Turgut auf die Medien der kurdischen Freiheitsbewegung ein und bezeichnet sie als Instrument zur Bildung und Mobilisierung der kurdischen Bevölkerung. Er betont den aktivistischen Charak-ter, den Journalismus unter denjenigen hat, die keinen Status haben, und hat mit diesem Anspruch auch im Workshop für zahlreiche Diskussionen gesorgt. Den türkischen Narrativen solle mit eigenen Medien ein alternativer kurdischer Diskurs entgegengestellt werden, so Turgut, der selbst seit fast 20 Jahren in diesen Medien aktiv ist und damit auch eine Innenperspektive bietet.
Es wird deutlich, dass dieser Reader ein breites Spektrum an Themen behandelt, die nicht nur mit der Kommunikationswissenschaft zu tun haben. Wir sehen dies nicht als Schwäche, sondern, im Gegenteil, als Stärke an. Die Grenzen der verschiedenen Wissenschaften werden interdisziplinär überwunden und damit der Blick auf die Gesamtheit kurdischer Themen größer und breiter beleuchtet, was zudem noch durch aktivistische Perspektiven ergänzt wird. Mit Lagasnerie gesprochen (2018, S. 99): Warum sollten wir uns den Grenzen einer einzigen Disziplin unterwerfen und nicht den Kontakt mit PartnerInnen suchen, die an einem ähnlichen Projekt arbeiten, nämlich der kritisch-solidarischen Sichtbarmachung kurdischer Thematiken und ihrer Bedeutung für uns alle in Deutschland und darüber hinaus.
In diesem Sinne wünschen wir viel Spaß und Erkenntnis beim Lesen dieser Veröffentlichung!
Kerem Schamberger & Dastan Jasim, München und Erbil (Hewler) im August 2019
Literatur
Lagasnerie, G. de (2018). Denken in einer schlechten Welt. Berlin: Matthes & Seitz.